Also ich tu‘ mich mit den sogenannten Antithesen in der Bergpredigt schwer. Jesus spricht alttestamentliche Gebote an (in diesem Abschnitt: „Du sollst nicht töten“) und verschärft sie bzw. deutet sie auf neue, tiefere Weise. Ich bin völlig damit einig, dass das Töten schon viel früher anfängt: Mit den Gedanken und mit den Worten anderen gegenüber. Deswegen ist es gut schon vorher einzuschreiten, schon vorher versuchen, Konflikte zu lösen und zu bereinigen.
Das ist ja das Problem bei vielen Geboten und Gesetzen: Sie setzen lediglich klare Grenzlinie, aber sie setzen eben nur diese Linie und beachten nicht den Weg bis zu dieser Linie. In diesem Fall heißt die Grenzlinie: Du sollst nicht töten. Das ist absolut tabu. Aber auf dem Weg zum Mord gibt es viele Stationen, die man eigentlich auch verhindern sollte. Jesus sagt zurecht: Die Probleme beginnen schon vorher, schon bevor man diese Grenzlinie erreicht.
So weit so gut. Womit ich ein echtes Problem habe, ist die Verbindung mit dem ewigen Gericht (Jesus spricht ausdrücklich vom Höllenfeuer!). Wer seinen Bruder (oder Schwester) beleidigt oder zürnt, der ist des Gerichts schuldig, der ist genauso schuldig wie jemand, der einen umgebracht hat… Also wenn wir anfangen so zu messen, dann ist Mord- und Totschlag in unseren Gemeinden gang und gäbe. Und dann landen wir alle im Höllenfeuer. Warum verknüpft Jesus hier moralisches Handeln mit dem Bestehen im Gericht?
Die einzige Möglichkeit, die ich sehe um das aufzulösen ist, dass man sagt: Ja, gerade weil alle schuldig sind (auch wenn sie nicht tatsächlich jemand umgebracht haben) und weil alle vor Gottes Gericht nicht bestehen können, gerade deswegen musste Jesus für uns ans Kreuz und die Strafe auf sich nehmen. Die Antithesen machen also vor allem unsere Sündhaftigkeit vor Gott deutlich. Allerdings konnten den Aspekt von Jesu Sterben für uns die damalige Zuhörer nicht im Blick haben. Die Bergpredigt war ja bekanntlich vor Tod und Auferstehung Jesus… Und außerdem ist man dann schnell dabei, den moralischen Anspruch Jesu wieder zu relativieren: „Naja, so leben wie Jesus das in der Bergpredigt fordert, kann eh niemand. Darum lasst uns fröhlich sündigen und Gottes Vergebung dankbar in Anspruch nehmen.“
Was will Jesus also: Will er nur provozieren und überdeutlich machen, dass niemand vor dem Heiligen Gott bestehen kann – außer durch Gnade? Oder rechnet er ernsthaft damit, dass jemand tatsächlich ohne Zorn auf andere leben kann (und wer’s nicht kann: ab ins Höllenfeuer)?